Ein Albtraum aus Granit und Kalkstein
Wir fahren nach Berlin! Das ist im deutschen Fußball stets eine Verheißung, denn es liegt der Duft von Siegen, von Triumphen in der Luft. Das Olympiastadion trägt eine Menge Geschichte(n) in sich, es ist fast ein Symbol und eine ein Stein gemeißelte Erinnerung. Aber es ist auch Heimat von Hertha BSC und ein Albtraum von einem Stadion.
Vielleicht lag’s auch ein bisschen am Berliner Schmuddelwetter? Schön war die Tour nach Berlin nicht, weder sportlich noch mit Blick auf den verhangenen Himmel. Der Weg von der S-Bahn die Stufen hoch zur Flatowallee, die einst als Reichssportfeldstraße existierte, öffnet den Blick auf das fast erstaunlich niedrige Bauwerk. Das erhielt erst vor 20 Jahren sein heutiges Dach – weil das Architekturbüro German, Marg und Partner zur WM 2006 („Sommermärchen“) eine fast filigrane Mütze erfand, die dem alten Block aufgesetzt wurde. So flach erscheint das Olympiastadion nur, weil es tief in den Boden hineinragt.
Gediegene Langeweile
Wie groß die Schüssel ist, wird erst sichtbar, wenn man schon drin steht oder aus dem Umlauf einen Blick durch die Stadiontüren erspäht.
Innen drin versprüht das Olympiastadion gediegene Langeweile. Es steht zu weiten Teilen unter Denkmalschutz – was direkt dazu führt, dass an normalen Wochentagen nichts im Stadion an Hertha BSC erinnert. An Spieltagen wird das von Werner Mach erdachte Stadion geschmückt, man könnte auch sagen: verkleidet. Das ist so wenig ein Stadion für Hertha wie das Ischelandstadion in Hagen ein Stadion für Fußball ist. Es ist ein Albtraum aus Granit und Kalkstein. Die Leichtigkeit Olympischer Spiele hat es nie wirklich erlebt, auch wenn die fünf Ringe trotzig an den gewaltigen Steintürmen hängen. Aber schon ein paar Meter weiter ruht die schwere Olympiaglocke, auf der sich der Reichsadler die Ringe krallt und Hakenkreuze notdürftig verkleidet sind, und erinnert an dunkle Zeiten in Nazi-Deutschland.

Das Olympiastadion lebt von dieser Geschichte. Und von seiner Bedeutung für den deutschen Fußball. Mit Hertha hat es wenig zu tun, weswegen auch der Berliner Sportclub am liebsten eher heute als morgen ein neues Stadion wünscht. Gerne auch ein kleineres, kompakteres Stadion. So etwas wie in Köln vielleicht.
Denn das gehört zur Wahrheit: Für Fußball ist dieses Stadion nicht erdacht. Er wird geduldet. Ja, die Sicht mag weitgehend gut sein, wenn man im Unterrang sitzt und nicht gerade einen der vielen Dachträger im Oberrang vor der Nase hat. Aber man ist eben auch ganz weit weg vom Geschehen. Die Sitze in langweiligem Grau passen zu allem und zu nichts richtig.
Immer halbleer
Das Spiel gegen Preußen Münster wollten über 43.000 Zuschauer sehen und das Stadion wirkt damit gerade halbvoll. Oder eher halbleer. Es ist ein stimmungsloser Krater, wenn nicht gerade ein herausragendes Spiel in ihm stattfindet. Für den Alltag ist es nicht gemacht. Es ist eine Trutzburg für besondere Momente.
Diese monumentale Erhabenheit – oder sollte man sagen: abweisende Steinoptik? – stemmt sich dem Gefühl entgegen. Schwere Metalltore versperren den Weg auf die Ränge, im Inneren der Tribüne führen verwinkelte und trostlose Gänge mit endlosen weiteren Türen ins Nirgendwo. Das Olympiastadion hat nichts Freundliches an sich, wünscht sich keine Gäste, sondern will nur seine Ruhe.
Soll es sie haben, da hinten in Charlottenburg-Wilmersdorf. Man wünscht Hertha, dass sich der Wunsch nach einem schöneren, moderneren Fußballstadion irgendwann erfüllt.
Zurück in Münster ein Blick auf die Baustellen-Cam. Das Preußenstadion ist winzig im Vergleich. Bedeutungslos in seiner Geschichte. Aber es will und wird auch gar nicht mehr sein als das. Ein Wohnzimmer für den SC Preußen, eine enge und laute Höhle, ein Stadion für den Fußball und nicht mehr. Manchmal ist das Leben ohne Symbolik einfacher.



Ein Stadion für besondere Momente auf jedenfall. Für mich trotzdem eins der schönsten auf dieser Welt im Vergleich zu den ganzen Multifunktionstempeln.
Verstehe auch diesen Ansatz. Moderne Stadien sind ja doch am Ende immer sehr ähnlich – nur Fassaden verändern sich.
Ich kann nachvollziehen, wie man zu der Meinung kommt. Leichtathletikschüssel, die Geschichte des Stadions, die schiere Größe.
Ich war Samstag das erste mal seit fast 30 Jahren wieder in dem Teil drin und war überrascht wie gut es mir gefiel. Auf dem Klo hätte ich fast fotografiert, so gelungen fand ich das. Die Türen zum Sanitärbereich waren geradezu elegant.
Ich hoffe ganz egoistisch, Hertha spielt da noch einege Zeit und einige male gegen uns. So wie nervige Groundhopper immer insistiert haben, Preußen solle auf ewig in dem alten Stall spielen, aus reiner Nostalgie.
Bin ein paar Mal in dieser Schüssel gewesen, alles noch vor dem Umbau 2006. Ich fand es immer ein tolles Erlebnis.
Habe dort die legendären Pokalendspiele Bayer 05 Uerdingen gegen die Bayern und BvB gegen Werder gesehen, beide ausverkauft oder fast ausverkauft. War aber auch bei Blau-Weiß vs. MSV (2.000), Hertha vs Osna (5.000) und dem Lokalderby Hertha vs. Blau-Weiß (nur 16.000, nebenan spielte AC/DC) und vor allem TeBe vs. SCP 1978 (1:2 auf Schneeboden bei minus 10 Grad und knapp 3.000 Zuschauern). Preußen war damals Tabellenführer der 2. Liga
Wie bereits gesagt, es war immer ein Erlebnis, Fußball in dieser Arena aus Gigantomania zu sehen. Und fast so alt wie unser Preußenstadion…
Ich kann den Kommentar von Carsten nur unterschreiben.
Wir waren das erste Mal da und ja, es sieht gigantisch aus und ist eben kein normaler Fußballtempel. Man merkt sofort, hier ist Geschichte.
Aber als Fußballstadion ist das Ding wirklich untauglich, eher fürchterlich. Schlimme Akustik, immer halb leer sieht dann halt nicht gut aus, alles weit weg. Man fühlt sich nicht wie beim Fußball. Für ein DFB Pokal Endspiel ist das sicher ein angemessener Rahmen, aber für Hertha ist das Ding aus meiner Sicht eine absolute Katastrophe.
Es ist auf jeden Fall eine Abwechslung zu den 08/15 Bauten a la Augsburg, Mainz etc. Und bevor ich nach Paderborn fahre, fahre ich lieber ins Olympiastadion. Ja, von Oktober bis April ist es zugig, kalt und nass. Wenn unter 50000 Zuschauer da sind, ist die Stimmung trostlos. Kommt man aber zu einem Spiel bei schönem Wetter und toller Kulisse, am besten dem Pokalfinale, ist es ein wunderbar stimmungsvolles Stadion, dass sich von vielen Einheitskästen abhebt. Und wenn man schon mal länger in Berlin ist, sollte man die Zeit für eine Stadionführung nutzen, die ist wirklich beeindruckend.
Ich beginne mal mit einem Komplimet für einen wirklich coolen Auswärtsauftritt eurer Kurve im Oly, das war 1.Liga reif! Interressant sind eure amS richtigen Einschätzungen zum Olympistadion. Auch ich spüre eine Ambivalenz zwischen Heimat und Wunsch nach engem, steilen, lauten Fussballstadion. Nach dem Verkauf der Plumpe 1974 zog man ins Olympiastadion. Es ist eine Stück Heimat geworden und wir haben das Stadion ins Herz geschlossen. Aber machen wir uns nichts vor, das Olympiastadion ist und bleibt ein Leichtathletikstadion. Die Entfernung der Fans zum Geschehen auf dem Rasen kosten uns gefühlt jedes Jahr um die 10 Punkte. Ein enges, lautes Stadion kann knappe Spielgeschehen mit Sicherheit mal auf deine Seite ziehen. Und Fussball ist am Ende des Tages eben auch und insbesondere Geschäft und jeder Kaufmann wird dir sagen, dass du ein eigenes Stadion betreiben musst. Ich will euch da nicht mit Zahlen quälen, aber diese haben zur aktuellen Diskussion und Planung für das eigene Stadion geführt. Auch die Größe des Olympiastadions passt einfach nicht zu uns. Wir sind aktuell 60Tsd Mitglieder, von denen um die 40Tsd regelmäßig ein Spiel zu Hause besuchen. Die Argumentation, man müsse nur attraktiveren Fussball spielen und das Stadion wäre ausgelastet, ist ein Irrglaube. Ein Verein kann sich nicht dem Stadion anpassen, sondern das Stadion muss sich dem Verein anpassen. Berlin ist einen multikulturelle Stadt und viele Zugezogene, auch aus dem Bundesgebiet bleiben ihrem Verein auch hier treu. Wir können uns nicht 30 Tsd Zuschauer aus den Rippen schneiden. Wir haben auch zT bis zu 30Tsd Auswärtsfahrer im Stadion. Das kann mal schön sein, aber am Ende des Tages ist ein Heimspiel ein Heimspiel. Im neuen Stadion, das wohl um die 50Tsd Plätze haben wird, wird es einen Auswärtsblock von max 3Tsd Plätzen geben. Zu guter letzt steht das Stadion unter Denkmalschutz und eventuelle Anpassungen an unserer Bedürfnisse sind immer wieder gescheitert. Wir müssen also aus vielerlei Hinsicht Herr im eigenen Haus werden. Das Olympistadion wird seinen Platz im Veranstaltungskalender der Stadt behalten, dafür braucht es Hertha BSC nicht. Alle Versuche des Vereins, mit dem Eigner des Stadions Lösungen zu finden sind lange gescheitert. Man wollte seinen Ankermieter nicht verlieren. Hertha BSC war sozusagen lange im Würgegriff der Stadt. Erst die Faninitiative blauweissesstadion.berlin hat hier erheblich zum Sinneswandel in der Politik beigetragen. Die Stadt und der Verein sind aktuell auf einem wirklich guten Weg, eine für alle Seiten gute Lösung zu finden.
Euch weiterhin eine gute Saison, wir sehen uns in Münster.
#hahohe
http://www.blauweissesstadion.berlin
PS Ich bin selbst kein aktiver Teil der Stadion Faninitiative, kenne aber einige
Hertha BSC spielt seit Beginn der Bundesliga 1963/1964 regelmäßig im Olympiastadion (zuvor lediglich z.B. in den Gruppenspielen der Endrunden um die deutsche Meisterschaft) – mit dem Hertha-Platz an der „Plumpe“ im Gesundbrunnen wäre Hertha BSC nicht Gründungsmitglied der Bundesliga geworden.
Danke Frank für den wichtigen Hinweis. Das habe ich durcheinandergebracht.
Wenn ihr schon in Sachen Trikot nicht die Auflagen der DFL erfüllt, solltet ihr das wenigstens bei den Plätzen für die Gästefans im neuen Stadion machen und sind 3000 bei einem 50000 Mann Stadion ein bisschen wenig 😉. Ansonsten finde ich es interessant, die Perspektive eines Berliners zu lesen und drücke die Daumen, dass es mit einem neuen Stadion klappt. Ich glaube, wenn es eine Fanszene gibt, die Verständnis haben für Fußballfans, die sich wegen eines Stadionprojekts mit der Stadt herumschlagen müssen, dann in Münster.