Der überwachte Fußball droht
Erinnert sich jemand an den politischen Auftrag zur Abschaffung der Zeitumstellung? Seit Jahren liegt das Thema brach, es tut sich nicht viel. Manchmal hat Politik die Tendenz dazu, Themen einfach auszusitzen. Man sollte aber nicht davon ausgehen, dass dieses Phänomen auch für die Debatte um mehr Sicherheit im deutschen Fußball gilt. Vor einem Jahr sorgte die deutsche Innenpolitik für ein gewisses Aufsehen, als sie den Profifußball und damit die Verbände DFB und DFL ins Visier nahm. Dieses Thema ist allerdings nicht eingeschlafen, sondern wird jetzt konkreter. Und das ist nicht unbedingt eine gute Nachricht.
„IMK 25: Eure eigenen Statistiken zeigen, die Stadien sind sicher, Populismus stoppen!“ So stand es am Freitagabend auf einem Banner vor dem Block der Preußenfans in Fürth. Und so war es auch am gesamten Wochenende in vielen Stadien zu lesen. Zufall? Natürlich nicht. Es war der Auftakt zu einer deutschlandweiten Kampagne, mit der Fanszenen vieler Klubs auf die Pläne von Politik und Verbänden hinweisen wollen.
Diese Pläne sehen unter anderem flächendeckend personalisierte Tickets vor, möglicherweise den Einsatz von automatisierter Gesichtserkennung. Aber auch um die strikte Umsetzung von Stadionverboten, sobald ein Ermittlungsverfahren eingeleitet wird – unabhängig von dessen Ausgang. Dazu soll auch die schon länger diskutierte zentrale Stadionverbotskommission eingesetzt werden. Und ja, natürlich steht auch das Dauerthema Pyrotechnik im Fokus, für das die Verbände schon seit einiger Zeit drastische Geldstrafen aussprechen, die aber noch immer zu niedrig sind, wenn es nach dem Geschmack der Politik geht.
Innenministerkonferenz im Blick
Was geschieht aktuell? Im Dezember tritt die Innenministerkonferenz in Bremen zusammen. Dort stehen einige der konkreten Maßnahmen zur Diskussion – darunter personalisierte Tickets in den ersten drei Profiligen Deutschlands, aber auch zügig und umfassend umgesetzte Stadionverbote. Der Ausgangsgedanke der Politik scheint zu sein: Der Fußball ist zu einer gesetzlosen Bühne der Chaoten und Kriminellen geworden, die Vereine eingeknickt vor der Macht der Ultras, der Rechtsstaat zur Lachnummer verkommen. Jetzt muss aufgeräumt werden. So in etwa fühlt sich das an.
Doch geben die Zahlen das eigentlich her?
Der jährliche Bericht der Zentralen Informationsstelle Sporteinsätze (ZIS) für die Saison 2024/2025 wurde am 9. Oktober 2025 vorgelegt und zeichnet eigentlich kein ganz so dramatisches Bild. Die ZIS hat unter anderem 1.170 Spiele von Bundesliga, 2. Bundesliga und 3. Liga ausgewertet (dazu Partien im DFB-Pokal und rund 1.500 Spiele der Regionalliga). Rund 25,3 Millionen Menschen verfolgten beispielsweise die Partien der ersten drei Spielklassen – und dabei wurden 1.107 Verletzte gezählt. Im Vorjahr waren es 1.338 Personen. In den Verletztenzahlen für 2024/2025 sind auch 160 Polizeibeamte enthalten (Vorjahr 306).
0,004 Prozent
1.107 Verletzte. Das ist keine schöne Zahl, aber im Kontext der Gesamtzuschauerzahl sind das 0,004 Prozent der Zuschauer. Oder, bezogen auf die 992 Ligaspiele rund 1,1 Verletzte pro Spiel. Welche Verletzungen genau erfasst werden, verrät die ZIS-Statistik nicht – nur soviel: Pyrotechnik scheint das geringste Problem zu sein. Von 234 verletzten „Störern“, also jenen Fans, die als gewaltbereite Personen beteiligt waren, wurden drei durch Pyrotechnik verletzt, aber 38 durch „polizeiliche Reizstoffe“, man könnte Pfefferspray sagen. Die „sonstigen Verletzungen“, die im Detail nicht näher definiert werden, bilden die größte Gruppe – es handelt sich hier um Verletzungen aus gewalttätigen Auseinandersetzungen wie Schlägereien. Diese müssen allerdings nicht zwingend innerhalb der Stadien geschehen. In der Statistik finden auch „Drittortauseinandersetzungen“ Eingang, also Angriffe auf gegnerische Fans außerhalb der Stadien, beispielsweise an Bahnhöfen.
Grundsätzlich ein Problem – unabhängig von allen Zahlen – ist der hohe Anteil „unbeteiligter Geschädigter“, der mit 624 Verletzten (plus 89 Ordner) am höchsten ausfällt. Man muss nicht drumherumreden: das ist zu viel, das lässt sich nicht relativieren.
Rückläufige Zahlen
Insgesamt gilt aber: In Bundesliga und 2. Bundesliga ging die Zahl der Verletzten deutlich zurück, lediglich in der 3. Liga gab es ein „Plus“ von sechs verletzten. Dabei habe sich diese Entwicklung ganz konkret am Drittliga-Duell Hansa Rostock gegen Dynamo Dresden festmachen lassen, schreibt die ZIS selbst. Im Ost-Derby war vieles aus dem Ruder gelaufen, was wohl eher kein strukturelles Problem ist, sondern eines von zwei insgesamt auffälligen Klubs.
Und nun? Die Politik hat im Oktober in einem Sachstandsbericht vor der Innenministerkonferenz klare Forderungen formuliert. Sie sieht einen „Handlungsbedarf des Fußballs, mehr für Sicherheit, gegen Pyrotechnik und für eine Reduzierung von Polizei-Einsatzstunden“ zu unternehmen. Die Sicherheitsbehörden bemängeln unter anderem, dass der Einsatz von Pyrotechnik zunehme (ohne das im Sachstandsbericht konkret mit Zahlen zu beleben), während die Zahl der Stadionverbote gleichzeitig sinke. Die zentrale Botschaft daher: Künftig „muss“ bei der bloßen Einleitung eines Ermittlungsverfahrens ein Stadionverbot ausgesprochen werden – unabhängig davon, ob das Ermittlungsverfahren tatsächlich zu einem Ergebnis führt. Die bisherige „soll“-Regelung würde damit zu einer Pflicht verschärft.
Mit Blick auf Pyrotechnik sprechen die Behörden von „repressiven Maßnahmen“ – im Kern wird es darum gehen, das Ticketing schärfer zu reglementieren sowie eine „Null-Toleranz-Strategie“ umzusetzen, in denen Folge auch Kollektivstrafen ein Thema sein könnten.
Stellungnahme der Fanhilfen
Der Dachverband der Fanhilfen hat bereits auf diese Pläne reagiert. „Dabei stellen wir nicht nur die Umsetzbarkeit und Sinnhaftigkeit infrage, sondern erkennen auch einen klaren Eingriff in das informationelle Selbstbestimmungsrecht aller Stadionbesucher. Wenn alle Fans am Einlass auch noch das letzte Stück Freiheit für den Besuch unseres Volkssports abgeben müssen, steht das im krassen Widerspruch zu unseren Vorstellungen und entbehrt jeglicher Verhältnismäßigkeit“, heißt es in einer Stellungnahme.
Die Fanhilfen lehnen daher grundsätzlich eine zentrale Stadionverbotskomission ab. Sie fordern die Reduzierung der Polizeieinsätze, insbesondere der „unberechenbaren Einheiten der Bundespolizei“, eine Reduzierung von Überwachungssystemen und generell die Anerkennung eines „Mehrwerts“ der deutschen Fankultur.
Ganz allgemein heißt es: „Uns ist bewusst, dass auch wir die Uhren nicht zurückdrehen werden. Häufig wurden hart erkämpfte Freiheiten nur kurze Zeit später zum Wohle des Populismus einiger weniger wieder eingeschränkt. Doch seid euch gewiss: Sollten sich die Gerüchte erhärten, werden wir uns zum Wohle aller Stadionbesucher für das Fußballstadion als Ort der Freiheit einsetzen und für die Werte unseres Fußballs einstehen!“
Hintergrund
Alles begann im Oktober 2024 mit einem Treffen zwischen DFL/DFB und Bundesinnenministerin Nancy Faeser sowie Innen- und Sportministern aus den Bundesländern – auf Einladung des Vorsitzenden der Sportministerkonferenz Joachim Hermann. Eben dieser CSU-Innenminister hatte kurz vor dem Treffen auch gleich die Marschrichtung vorgegeben. Bei „Chaoten im Fußball“ seie eine „krasse Fehlentwicklung“ zu erkennen, eine „massive Distanzierung der Profiklubs von Gewalt und Pyrotechnik“ seit angezeigt. Hermanns Forderungen? Konsequente Stadionverbote, Schnellgerichte, noch höhere Geldstrafen gegen die Klubs, auch die Rückkehr von Kollektivstrafen. Denn es drohe „Lebensgefahr“ in Stadien. „Das Risiko ist offenkundig groß.“ Groß sind offenbar auch die Worte, wenn es um die Bühne Fußball geht.
Die teilweise drastischen Zustandsbeschreibungen der Politik stießen naturgemäß nicht auf allzu große Begeisterung bei den Verbänden, schon gar nicht beim Dachverband der Fanhilfen oder Organisationen wie „Unsere Kurve“. Von einem „Überbietungswettbewerb mit Falschbehauptungen und Unwahrheiten“ war die Rede, wie beispielsweise Linda Röttig vom Dachverband der Fanhilfen formulierte.

