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Preußen Münster und das Ärger der späten Gegentore

Preußen Münster und das Ärger der späten Gegentore
Jubel nach dem Schalker Siegtor.

Schon wieder ein später Knock-Out. Irgendwie gelingt es dem SC Preußen Münster derzeit nicht, enge Spiele bis zum Ende zu ziehen. Kaiserslautern, Hamburg, Paderborn, jetzt Schalke: Ab der 80. Minute wird es kritisch. Aber steckt ein besonderes Preußen-Muster dahinter? Wenn man sich die Zahlen genauer anschaut, sieht das Bild ganz anders aus.

Zunächst: Es dürfte schwer fallen, ein klares Muster hinter späten Gegentoren zu erkennen, zu unterschiedlich fielen sie. Beim Heimspiel gegen den Hamburger SV bekam der Gast beispielsweise einen „Kann-man-geben-aber-muss-man-nicht-geben“-Elfmeter. Schiedsrichter Wolfgang Haslberger bewertete das Eingreifen von Lukas Frenkert im Strafraum als unzulässig – dabei war auch Selke „handgreiflich“, aber im Strafraum sind solche Szenen für Abwehrspieler oft nachteilig und letztlich sah auch der VAR keinen Grund, den Elfer einzukassieren.

In Kaiserslautern startete das Unglück in der 92. Minute mit einem guten Umschaltmoment der Gastgeber, die am eigenen Strafraum den Ball einfach weit herausschlugen. So war plötzlich Platz für den Konter, bei dem sich drei Preußen zwei Lauterern gegenüber sahen. Torge Paetow brachte durch eine unglückliche Kopfball-Abwehr den Angriff ins Rollen, weil der unkontrollierte Kopfball direkt bei Sirch landete. Den schnellen Doppelpass mit Ache bekam der SCP nicht verteidigt – auch weil Makridis als Aushilfsverteidiger den Torschützen einfach aus den Augen ließ. Zu dem Zeitpunkt war Münsters Abwehrreihe auch schon durch Wechsel „zerrupft“, Scherder musste früh runter, Frenkert und ter Horst waren ebenfalls bereits raus, Bazzoli war in der Szene nicht in der Nähe – und das Trio aus Koulis, Paetow und Makridis bekam das Tempo der Gastgeber nicht gestoppt.

In Paderborn machte Ilyas Ansah den Unterschied, ganz einfach. Mit dem Tempo des nach 74 Minuten eingewechselten Ansah hielt der SCP nicht mehr mit, das Spiel ging dann binnen zwei Minuten mit zwei schnellen Angriffen verloren.

Tja, und Schalke? Das Tor warf sich der SC Preußen irgendwie selbst rein. Einen Einwurf beförderte der SCP zwar in Richtung des Schalke-Tors, aber leider auch direkt in die Füße eines Schalkers. Den Pass in die Spitze wollte Koulis per Kopf abwehren – leider direkt in den Lauf von Ba, der dann am Ende auch noch Kirkeskov aussteigen ließ. Münster war zu diesem Zeitpunkt einigermaßen weit aufgerückt, daher fehlte hinten ein bisschen die Absicherung.

Ein Muster? Ein strittiger Elfmeter, ein starker gegnerischer Wechsel, eine unglückliche Kopfballvorlage? Ist das fehlende Konzentration? Joshua Mees schüttelte anschließend den Kopf. „Ich glaube nicht, dass wir unkonzentriert waren. Das Gegentor fiel in einer Phase, in der wir eigentlich auch besser waren“, meinte er. Vielleicht war der SCP sogar schon etwas zu offen? Denkbar, dass der SCP auf Schalke insgeheim auf den Sieg spielen wollte – nicht um jeden Preis, aber dass der SCP in der Schlussphase und schon vor dem Gegentor Chancen herausgespielt hatte, war ja deutlich. Und es ist eben der Ansatz des SCP, gewinnen zu wollen und auf Schalke war der SCP tatsächlich nah dran.

Fehlte dann hinten die letzte Absicherung? Klar war: Münster hatte zum Zeitpunkt des Gegentors hinten viel Raum geöffnet, war eigentlich nach dem Einwurf im Vorwärtsgang und wurde so hinten überrumpelt. Kein systemisches Problem, eher eine Momentaufnahme in 97 Minuten Spielzeit.

Vergleiche

Genau acht Gegentore kassierte der SC Preußen ab der 80. Minute. Natürlich ist es unglücklich und ärgerlich, dass einige dieser späten Treffer auch gleich Punktverluste bedeuteten. Aber das hat der SCP nun wirklich nicht exklusiv. Zum Vergleich: Konkurrent SSV Ulm kassierte elf späte Gegentore ab der 80. Minute – und auch dort waren es oft entscheidende Gegentore. Zuletzt am Samstag in Braunschweig (86.), aber auch in Kaiserslautern (83.), Düsseldorf (82.), Nürnberg (99.!), Karlsruhe (94.) und Hannover (81.). Eine viel desaströsere Bilanz als bei den Preußen.

Regensburg? Mit sogar 13 späten Gegentoren ab der 80. Minute führt das Schlusslicht diese Kategorie auch an. Auch Braunschweig liegt mit zehn späten Gegentoren noch vor den Preußen.

Anders gesagt: Vom Quartett am Tabellenende hat der SCP noch die beste Bilanz. Und zum Vergleich: Die beiden Spitzenteams Kaiserslautern und Köln kassierten jeweils sechs späte Gegentore – und damit nur knapp weniger als die Preußen. Haben Lautern und der FC also auch ein Konzentrationsproblem?

Zahlen ab der 76. Minute

Und noch etwas: Nimmt man als Schlussphase die letzte Viertelstunde (plus Nachspielzeit), also die Zeit ab der 76. Minute, wird das Bild noch deutlicher:

KlubHeimAuswärtsGesamt
Preußen Münster459
Eintracht Braunschweig3811
SSV Ulm9413
Jahn Regensburg61117
(Gegentore ab der 76. Minute)

Der SC Preußen steht im Vergleich noch gut da – unter den Umständen. Vielleicht muss man in der Bewertung ohnehin noch ein ganz anderes Phänomen bewerten:

Handelt es sich am Ende gar nicht um ein Muster für ein einzelnes Team, sondern eher um ein Muster im Abstiegskampf selbst?

Ein Klub tief im Abstiegskampf erlebt seine Spiele in der Regel als knallharten Abwehrkampf – 90 Minuten verteidigen, 90 Minuten anrennen, verschieben, Lücken schließen. Ist es ein Zufall, dass diese Arbeit einfach mehr Kraft kostet und auch die Gedanken- und Handlungsschnelligkeit zum Spielende hin verändert? Natürlich wird Müdigkeit im Kopf und Müdigkeit in den Beinen eine Rolle spielen. Ein Spitzenteams hat dieses Problem eher nicht, weil es in der Regel nicht so unter Druck steht wie ein Abstiegskandidat.

Und ganz nebenbei: Mit 33 Gegentoren steht der SCP für ein Kellerkind sogar noch gut da – elf (!) Mannschaften haben mehr Gegentore als Münster kassiert. Das Torverhältnis von -7 ist bemerkenswert gut. Zum gleichen Zeitpunkt der Vorsaison hatte Kaiserslautern auf Platz 15 sogar 48 Gegentore, Bielefeld 2023 39 Gegentore, Sandhausen kam 2022 auf 41 Gegentore nach 24 Spielen, Braunschweig 2020 auf 43 Gegentore, Bochum 2020 auf 45 Gegentore… seit 2018 hat kein Team auf Platz 15 nach 24 Spieltagen mehr so wenig Gegentore kassiert. Wenn man es genau betrachtet, macht der SCP defensiv sogar im Jahresvergleich einen bemerkenswert guten Job, oder?

Das gilt übrigens auch für Ulm – und mit denen hat der SC Preußen Münster eines gemeinsam: Gegentore prima, aber offensiv drückt der Schuh. Mit 25 (Ulm) bzw. 26 Toren (Münster) hinken beide Klubs einfach hinterher. Das nur am Rande.

Weniger spielentscheidend

Zwar fallen auch bei Spitzenteams späte Gegentore – aber sie haben in der Regel keine spielentscheidende Bedeutung mehr. Häufig führt das Spitzenteam bereits deutlich und lässt im Gefühl des sicheren Sieges noch ein spätes Gegentor zu. Beispiel: Von den fünf späten Gegentoren des HSV hatte nur eines direkten Einfluss auf das Ergebnis und zwar der späte Hertha-Ausgleich beim 1:1 am zweiten Spieltag.

Wie es so schön heißt: Späte Gegentore im Abstiegskampf sind „not a bug, but a feature“. Kein Fehler, sondern Teil des Problems. Sie sind einfach Teil des Abstiegskampfes. Und welche Lösung gibt es? Einfach mehr Konzentration zu fordern ist leicht, der Wille ist ja auch da – aber am Ende sind es eben oft kleine individuelle Fehler, die man einfach nicht mehr verhindern kann. Schließlich sind da noch immer Menschen am Start, keine Roboter. Nicht zufällig hatte Sascha Hildmann nach dem Schalke-Spiel noch einmal betont, dass alle für das Thema sensibilisiert seien, dass man Abwehrmechanismen trainiere. Aber ein Abstiegskandidat wird das nicht immer abstellen können. Am Ende – so unbefriedigend das sein mag – unterliegt im Fußball vieles dem Zufall.

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