Preußen Münster: So lief das Kick-Off-Meeting zum Leitbild
Um das direkt vorwegzunehmen: Aus den versprochenen 60, 70 Minuten für den ersten öffentlichen Aufschlag in Sachen „Leitbild für den SC Preußen Münster“ wurde nix. Stattdessen lief die digitale Veranstaltung fast 110 Minuten. Und jede einzelne davon war gut.
Viel lieber hätten die Organisatoren den Startschuss für den Leitbild-Prozess sicher persönlich gegeben; bei einem Treffen im Preußenstadion. Das ging aber nicht, weil… nun, jeder weiß, warum nicht. So verlagerte der Klub die erste öffentliche Vorstellung ins Internet, streamte live via Youtube und Facebook. Technisch realisiert und moderiert wurde das von Thomas Knüwer und seiner Agentur kpunktnull. Knüwer sollte für Preußenfans allemal ein Begriff sein, weil er einst dem Handelsblatt schrieb, das „einzig gottgegebene Geschenk an die Menschheit“ sei der SC Preußen Münster. Das duldet keinen Widerspruch.
Bis zu 170 Besucher auf Youtube und weitere 80 bei Facebook verfolgten den Stream. Eine gute Resonanz am Donnerstagabend. Und ein Zeichen, dass viele interessiert sind auch an Themen, die über den Sport hinausgehen.
Also: Worum ging es? Der SC Preußen Münster will sich ein Leitbild geben, das die fundamentalen Werte und Ideen des Klubs spiegelt. Ein Leitbild, das ein bisschen die Zeit überdauern soll, auch wenn Verantwortliche kommen und gehen. Das war die eine, große Erkenntnis des Abends: Ein Leitbild soll einem ansonsten flüchtigen Sportklub ein festes Fundament geben, soll den Weg weisen, ohne dabei zum Gesetz zu werden. Es kann verändert werden, es kann angepasst werden, aber es ist im Grundsatz eine Sammlung von Regeln und Erkenntnissen, die das Handeln bestimmen. Und es ist kann nur wirken, wenn man dafür kämpft und sich danach richtet, auch wenn es mal unangenehm oder schwer ist.
Eine Sache von Jahren
Ein Prozess, der keinesfalls in wenigen Wochen oder Monaten abgeschlossen sein wird. Für das Projekt braucht es Zeit. Zeit, die jetzt gut investiert ist, damit langfristig ein Leitbild entstehen kann, das auf den Anregungen und Einschätzungen möglichst vieler Menschen basiert.
„Gerne würden wir das in einem Jahr schaffen“, so Projektleiter Benny Sicking. „Aber realistisch kann das auch drei Jahre dauern.“ Zum Vergleich: In Bochum arbeitete man vier Jahre am Leitbild, wie Andrea Peschke berichtete.
Das war sympathisch: Im Stream hatte der SCP Gäste vom VfL Bochum und Mainz 05 eingeladen. Kerstin Weber präsentierte den Prozess in Mainz, für Bochum sprachen Dirk „Moppel“ Michalowski und Andrea Peschke. Alle drei lieferten ausgesprochen hilfreiche Einschätzungen aus ihren Klubs. „Man muss alle Perspektiven einbeziehen, nur dann kann ein Leitbild tragfähig werden“, betonte Andrea Peschke. „So ein Leitbildprozess ist eine Chance, miteinander in den Austausch zu kommen, unterschiedliche Perspektiven wahrzunehmen.“ Und genau das soll beim SCP auch passieren. Vom Ultra über KlubmitarbeiterInnen bis hin zum Großsponsor sollen alle etwas beitragen. Ja, auch die Geldgeber. Und warum nicht? Jeder, der mit dem Klub verbunden ist, kann etwas beitragen.
Bochums „Moppel“ hatte etwas Richtiges zu sagen: „Als Fan würde ich immer darauf hinwirken, dass das Leitbild eingehalten wird. Die Fans sind die Basis eines Klubs. Spieler und Verantwortliche kommen und gehen. Daher kann es nur überlegen, wenn die Fans darauf achten.“ Und das dürfte stimmen. Fans sind – Heterogenität hin oder her – die Konstante eines jeden Klubs, auch wenn damit eine Verantwortung einhergeht, die heute nicht immer eingehalten wird. Denn wahr ist auch: Es mag sein, dass Fans ein Leitbild im Auge behalten müssen, aber auch sie selbst müssen das dann leben.
Aber so weit ist der SCP lange nicht. Vorerst ging es darum, die Personen kennenzulernen. Neben Projektleiter Sicking sind das Alexandra Bexten, Martin Stadelmann und Sven Averesch. Die vier bilden die Projektgruppe für das Tagesgeschäft, eine Leitungsrunde mit Präsidiumsvetretern, Fanprojekt und Geschäftsstelle hilft, Vereinspräsident Christoph Strässer steht als „Kopf“ darüber.
Die Projektgruppe holt sich zusätzlichen Input aus einer Referenzgruppe, in der weitaus mehr Preußen vertreten sind: Ultras, Sponsoren, Mitarbeiter, Fans, FANport, Jugend- und andere Sportabteilungen, Ehrenamtler…
Die Struktur soll sicherstellen, dass eine möglichst große Bandbreite an Meinungen enthalten sein wird. Und schon ab sofort kann jede/r Preußenfan teilnehmen. Der Klub hat einen Fragebogen veröffentlicht, mit dem die ersten „Basisinformationen“ abgefragt werden.
Zum Fragebogen beim SC Preußen Münster
Es gibt derzeit noch weder einen Rohentwurf für ein Leitbild noch sonst etwas Belastbares. Der Prozess steht ganz am Anfang. Und dennoch wurde schon am Donnerstagabend die Frage deutlich, wie und ob am Ende ein Leitbild auch durchgesetzt werden kann.
Die Antwort? Jein. Christoph Strässer: „Ich glaube nicht, dass man das Leitbild mit Sanktionen versehen wird. Das wird schwierig.“ Aber natürlich müssen am Ende die Umsetzbarkeit eine Rolle spielen – dafür könnte aber ein möglichst breiter Beschluss auf einer künftigen Mitgliederversammlung beitragen.
Zumindest ein Eckpfeiler steht. Vielleicht, weil der Präsident des SCP ein erfahrener Politiker ist, verwies Christoph Strässer auf ein Grundprinzip. „Wir stehen in einem demokratischen Umfeld. Ich habe da eine klare Position, die Werte im Grundgesetz. Da gibt es den Artikel 1 mit der Würde des Menschen – der ist für mich die Grundvoraussetzung.“
Auch Jugendabteilung arbeitet
Neben dem Leitbild-Prozess läuft beim SC Preußen auch ein zweiter Prozess – ebenfalls mit dem Blick auf Nachhaltigkeit. Im Jugendbereich engagieren sich Trainer und Betreuer, um eine Professionalisierung für den gesamten Nachwuchsbereich voranzutreiben. Es geht auch um Infrastruktur, aber viel mehr um inhaltliche und sportliche Linie.
Vorgestellt wurde das von U19-Trainer Janis Hohenhövel und Sportpsychologe Ole Kittner, dem Ex-Preußen. „Wir wollen auch für uns einen Prozess anstoßen, der einen Kompass für unser Handeln bildet“, so Hohenhövel. Dieser Prozess sei unabhängig vom Leitbild, aber sicher mit Schnittmengen versehen. Ole Kittner: „Wie sollen wir im Nachwuchs miteinander umgehen? Am Ende soll eine Grundlage für gemeinsames Handeln stehen, mit der wir hoffentlich nachhaltig erfolgreich sein können.“ Eine schriftliche Ausbildungsstrategie sei das Ziel, so Hohenhövel.
Ein paar konkrete Anregungen gab es schon. Strässer reagierte auf die Fragen nach Barrierefreiheit oder Gleichberechtigung. „Wir haben im Moment neun Rollstuhlplätze, das ist ein Skandal. Und wir sind 15 Klubverantwortliche in den Führungsgremien, alles Männer, keine Frau. Das geht nicht.“ Klare Worte, die hoffentlich irgendwann zu Veränderungen führen. Ach ja, auch ein bisschen Masematte möge doch bitte Eingang finden, so eine Anregung in den Kommentarspalten. Es deutet sich an, dass Anregungen aus allen denkbaren Bereichen kommen werden …
Aber all das wird Teil des nun offiziell gestarteten Prozesses sein. Einigkeit herrschte in einem weiteren Punkt: Ein Leitbild ist nie beendet. Es muss gelebt werden, es muss aktuell und in den Köpfen bleiben – sonst wird es irgendwann nur ein Zettel voller Wörter an der Wand.
Andrea Peschke (Bochum): Unser Leitbild-Prozess dauert im Grunde noch immer an. Es brauchte vier Jahre vom Start der ersten Interviews, aber wir wollten eben vom Aufsichtsrat über Spieler, Fangruppen, Mitarbeiter und Ehemalige alle einbinden. Wir haben auch einen Markenprozess für den Verein dahintergelegt und haben so versucht, eine Essenz zu bekommen. So entstand dann ein Leitbild mit den drei Bausteinen Mission, Vision, Werte.
Dirk Michalowski (Bochum): Alle hatten Riesenspaß daran und wollten mitmachen. Am Leitbild versuche ich mich täglich zu orientieren. Das fällt nicht immer leicht, weil es eben auch immer Widersprüche gibt. Ich war aber froh, dass wir es erstellt haben. Am Leitbild muss man immer weiter arbeiten, sich daran messen und es korrigieren. Beispiel: Nachhaltigkeit und Klimaschutz war im Prozess vor 13 Jahren beim VfL Bochum noch gar nicht so ein Thema. Solche Dinge kann man aber anpassen, ohne die Grundstrukturen zu ändern.
Kerstin Weber (Mainz): Wir stehen kurz vor dem Ende des Leitbild-Prozesses. Rund 25 bis 30 Mitglieder sind in unserer AG Identifikation vertreten, im Alter von 20 bis 70. Wir haben uns viel beschäftigt mit den Prozessen anderer Klubs, das war hilfreich. Wir haben in Mainz aber auch erlebt, dass wir etwas vom Kurs abgekommen sind. Am Bruchweg war vieles klarer, heute wissen wir nicht mehr immer genau, wofür Mainz 05 stehen soll. Karnevalsklub, graue Maus, Profiklub? Wir spüren, dass wir (im neuen Stadion, Anm.d.Red.) etwas Anklang verlieren, das müssen wir wieder ändern. Aber das geht nur, wenn wir für etwas stehen. Das müssen wir schärfen. Man sollte sich dabei unabhängig machen vom sportlichen Geschehen. Ein Leitbild soll für die Ewigkeit sein, man muss sich auch in schwierigen Zeiten daran halten. Auch nach dem Abschluss unseres Leitbild-Projekts werden wir weitermachen, wollen das Leitbild auch in die Stadt tragen. Wenn das einschläft, dann verwäscht es.