Immer wieder „Ärger“ um Preußen-Graffiti

Glosse | Es gibt so ein paar Dinge, die immer wieder hervorgekramt werden, wenn Platz ist. Oder sonst nichts los. Zweimal im Jahr dürfen auf Uhrzeiten spezialisierte Wissenschaftler erklären, dass die Zeitumstellung lebensgefährlich sein kann. Im Oktober wird Halloween als kulturimperialistischer Untergang beklagt, der Muttertag als Erfindung der Blumenlobby, das Silvesterfeuerwerk als Teufelszeug. Immer ist irgendwas. Und Verlass ist auch auf Lokalmedien und ihren Auftrag, die Bürgerinnen und Bürger der Stadt vor schädlichen Einflüssen des Fußballs zu schützen. Es geht dabei um Graffiti.
Sogar um ein ganz konkretes. Es ist auf den noch neuen Stufen der Kanalbrücke an der Wolbecker Straße angebracht und zeigt auf schwarz-weiß-grünem Untergrund den Schriftzug „ACAB“. Kenner wissen: Das bedeutet „All cops are bastards“ und wird unter anderem (aber nicht nur) in Fußballkreisen gerne genutzt, um den dauernden Streit zwischen Polizei und Fans zu illustrieren. Über Stil kann man immer streiten, aber einen anonymen Leser der „Westfälischen Nachrichten“ brachte das offenbar so auf die Palme, dass er die „Westfälischen Nachrichten“ informierte. Die griffen das Thema nun auf, verrieten allerdings ihren Leserinnen und Lesern nicht, was „ACAB“ bedeutet, sondern beließen es bei der allgemeinen Erklärung „polizeifeindlicher Parole“.
Gemeinsam ist solchen Texten oft, dass die Autorinnen oder Autoren keinen erkennbaren Bezug zum Fußball oder zu Fans und ihrem Gefühl haben. Und deswegen gehört es zum guten Ton, Anhänger des Klubs zwingend und stets als „vermeintliche Fans“ des SCP zu bezeichnen – diese Abgrenzung ist wichtig, denn ein „echter“ Fan kann nur sein, wer Ampeln nicht bei Rot quert, wer ohne Vorstrafe ist und auch sonst geradezu ein Vorzeigemensch ist. Schwarz oder weiß, so haben wir es am liebsten.
Hier wird über das Thema diskutiert
Im jüngsten Artikel ist daher direkt im Textanlauf zu erahnen, was Phase ist. „Diesmal geraten vermeintliche Fans von Preußen Münster durch eine provokante Botschaft in ein schlechtes Licht“, steht da. Man müsste ja aufgrund langjähriger Erfahrung mit solchen Klagen eher sagen: schon wieder. Aus der „provokanten“ Botschaft wird dann ganz fix „beleidigend“ und „menschenverachtend“. Und völlig zu Recht heißt es daher: „Am Dortmund-Ems-Kanal sorgt ein großflächiger Schriftzug für Unmut.“
(K)eine Umfrage?
Man wüsste nun gerne, ob der Schriftzug wirklich am gesamten Dortmund-Ems-Kanal für Unmut sorgt oder doch nur an der Wolbecker Straße. Ob es also nicht eher der Unmut einer einzelnen Person ist, die Anlass der aktuellen Berichterstattung ist? Aber woher weiß man nun, wie sehr der Schriftzug wirklich für Unmut sorgt? Wurde eine Umfrage erstellt? Klingelte die Autorin an jeder Tür der Nachbarschaft? So viele Fragen, keine Antworten.
Immerhin war schnell klar, wer die Schmierfinken gewesen sind. Der anonyme Anwohner „vermutet, dass die Verursacher in der Fanszene des Fußballvereins zu suchen seien“, heißt es. Und ja, da könnte er richtig liegen. Dabei ließe sich grundsätzlich sagen, dass der Schriftzug „ACAB“ deutlich vielseitiger ist, als dass er nur auf ein paar schludrige Fans des SCP zu reduzieren wäre. Als Protestzeichen gegen staatliche Autorität und auch deren Missbrauch wird „ACAB“ schon seit Jahrzehnten genutzt – übrigens von „links“ wie von „rechts“. Sogar die Polizei nutzt die Buchstaben, deutet sie in „All cops are beautiful“ um, was allerdings ein bisschen cringe ist.
Sogar der SC Preußen Münster selbst wurde zum Graffiti am Dortmund-Ems-Kanal befragt. Ehe der Klub im Text zu Wort kommt, wird im Artikel erst einmal behauptet, „der Fußballclub distanziert sich deutlich von menschenverachtenden, beleidigenden Botschaften.“ Von den Preußen selbst gab’s dagegen eher eine Phrase. Nämlich, dass man dort selbstredend für „Offenheit und gegenseitige Wertschätzung“ stehe. Ein fast neuer und wichtiger Erkenntnisgewinn.
Bundesverfassungsgericht sagt Nein
Achso, eines noch.
Ein winziges, aber grundsätzliches Problemchen wird in den „WN“ leider nicht adressiert. Aber sicher nur, weil im Internet einfach kein Platz mehr für Details war. Bereits vor Jahren urteilte das Bundesverfassungsgericht, dass „ACAB“ nicht automatisch und pauschal als Beleidigung aufzufassen sei. Eine solche Beleidigung läge nur dann vor, wenn eine „hinreichend überschaubare und abgegrenzte“ Personengruppe angesprochen sei – und das dürfte bei rund 300.000 Betroffenen eher schwierig sein. Anders gesagt: Der Schriftzug „ACAB“ ist wohl in weiten Teilen von der Meinungsfreiheit gedeckt – und damit wäre das alles an der Wolbecker Straße kein Drama, keine Beleidigung mehr, sondern nur noch ein bisschen Farbe.
Es gibt sogar noch eine feine Ironie obendrauf. Zwar werden die „feindseligen Schmierereien“ und „beleidigenden“ Bilder in den „WN“ wortreich und stellvertretend beklagt – aber der „ACAB“-Schriftzug wird dann immerhin bestens sichtbar als Foto in Print und Online verbreitet – nur für den Fall, dass noch nicht jede/r davon erfahren hat. Es sollen sich ja alle aufregen dürfen.
Was hiermit erledigt wäre.
P.S. Eine kurze Recherche zeigt, dass mit Preußen-Graffiti in den „WN“ regelmäßig Reichweite zu erzielen ist. Das Bemalen von Autobahnbrücken ist schlimm und gefährlich, in Senden bringt Preußen-Graffiti „keine Sympathiepunkte“ ein, auf Norderney „stört es in den Dünen„, außerdem scheint die Zahl der Preußen-Graffiti zuzunehmen, was unter anderem in Sendenhorst für „erboste“ Anwohner sorgt. Drama, wohin man schaut. Man könnte auch sagen: Das Geschäftsmodell mit den Preußenfans läuft.
P.P.S. Und noch etwas seltsamer mutet die Tatsache an, dass die ziemlich akkurat gestaltete schwarz-weiß-grüne Treppe mit dem Schriftzug schlimm ist – an den billigen und hingeschmierten Tags direkt daneben nahm der anonyme Anwohner keinen Anstoß. Das ist wohl zu normal.


Es ist mediales Sommerloch und die WN ist sich eh für keinen Blödsinn zu schade!
Also mal ganz entspannt bleiben 😉