„Pflichtaufgabe HSV“: Wenn Computer über Fußball schreiben
![„Pflichtaufgabe HSV“: Wenn Computer über Fußball schreiben](https://preussenjournal.de/wp-content/uploads/Bildschirmfoto-2025-02-05-um-17.01.21.png)
Schon sehr lange ist Kollege Computer im Fußball aktiv. Vor allem Medien nutzen die sogenannte Textautomation, bei der aus strukturierten Datensätzen KI-gestützt Texte automatisch erstellt werden. Das System gibt es schon seit vielen Jahren, einer der großen Anbieter am Markt ist das Berliner Unternehmen Retresco. Die Ergebnisse sind teilweise schauderhaft.
Auf dem Papier, pardon: Bildschirm, ist die Idee simpel und plausibel. Überall, wie strukturierte Daten vorhanden sind, beispielsweise bei klar definierten Produktdaten, Fußballtabellen, Börsenkurse oder Wetterdaten, lassen sich dank KI-Unterstützung „natürlichsprachliche“ Texte erzeugen. Natural Language Generation (NLG) heißt so etwas, automatische Textgenerierung.
Der Nutzen für Redaktionen liegt auf der Hand: Reine Informationstexte zu Themen wie Börse, Fußball, Wetter oder Produktbeschreibungen müssen nicht von (mehr oder weniger gut bezahlten) Menschen verfasst werden, sondern werden automatisch generiert. Billiger Content ohne kreativen Anspruch, mit dem Redaktionen dann tausend-, hunderttausendfach das Internet fluten.
Wer einmal bei großen Händlern wie Mediamarkt die Produktbeschreibungen von Smartphones abseits der Topgeräte gelesen hat, bekommt eine Ahnung von dem, was da verfasst wird. Die Textqualität bewegt sich auf dem Niveau von „Dieses Gerät ist sehr gut.“ Aber für die reine Information genügt das in den meisten Fällen, das Referieren von reinen Daten und Fakten erfordert ja in der Regel wenig Fantasie oder Kontext.
Kontext fehlt immer
Beim Fußball liegen die Dinge naturgemäß etwas anders. Die Textautomation stößt hier immer noch an Grenzen. Verdachtsmomente über einen Mangel an Qualität werden sichtbar, wenn beispielsweise Retresco die selbst gestellte Frage, ob „automatisierte Berichte von menschlichen Texten unterscheidbar sind“, ausweichend beantwortet. Eigentlich gar nicht. Stattdessen heißt es dort nur vielsagend: „Durch semantische Analysen und Verknüpfungen werden Texte und multimodale Inhalte optimal miteinander verschränkt – und dadurch die Auffindbarkeit und Conversion-Rates entsprechend gesteigert. Die automatisierte Berichterstattung ist insgesamt darauf ausgelegt, dabei zu helfen, textbasierte Geschäftsprozesse zu digitalisieren und zu automatisieren.“
Denn darum geht es: Reichweite zu erzeugen, sichtbar zu werden und ultimativ Geld zu verdienen, ohne dazu einen eigenen Handschlag tun zu müssen.
Das führt dann mitunter zu skurrilen Texten. Da wird gerne zwei Spieltage vor Schluss der längst feststehende Meister einer Liga in ein Spiel geschickt, in dem es um „wichtige Punkte“ geht. Umgekehrt erkennt die Textautomation oft nicht, dass bereits feststehende Absteiger wirklich nicht mehr gegen den Abstieg kämpfen. Das passiert, wenn lediglich ein Tabellenplatz ausgewertet wird, ohne einen Kontext zu erstellen. Vor allem erkennt die Textgenerierung keine Entwicklungen – sie berichtet rein statisch auf Grundlage der vorliegenden Daten.
Körpersprache durch Gelbe Karten
Beispiel gefällig? Das anstehende Heimspiel des SC Preußen Münster gegen den Hamburger SV. Wer nach der Partie bei Google sucht, wird schnell auf einen dieser automatisierten Vorberichte stoßen, vor allem auf welt.de, wo diese Inhalte sehr geschickt und reichweitenstark platziert werden. Dort heißt es in der Suchmaschinen-Überschrift „Pflichtaufgabe für Hamburg“. Ganz so, als sei der SCP im Vorübergehen zu schlagen.
Der automatisierte Text rattert die schieren Zahlen herunter. Wie viele Tore der HSV geschossen hat und warum der Gast daher deutlich besser sein müssen. Sogar die „Körpersprache“ will der Robotertext erahnen – und zwar auf Grundlage von 58 Gelben Karten, die der HSV bisher kassiert hat. Ob die nun durch Meckern oder Fouls anfielen? Das weiß die Maschine nicht. Dennoch gibt es ein klares Fazit: „Der SCP geht eindeutig als Außenseiter in die Partie. Im Verlaufe der Saison holte der SC Preußen Münster nämlich insgesamt 15 Zähler weniger als der Hamburger SV.“ Achso, na dann.
Dass der SCP seit dem Winter ein anderes Gesicht zeigt? Das weiß Retrescos KI nicht. Weil sie keinen Kontext herstellen kann. Eine Enwicklung im Team, ein Anspruch, die allgemeine Stimmung: Das kann keine KI messen und verarbeiten.
Natürlich ist es faktisch korrekt, dass der SCP mit 23 geschossenen Toren „deutliche Schwächen“ in der Offensive aufweist. Doch weiß die KI auch, dass der SCP sich zuletzt spürbar mehr Chancen erarbeitet hat? Kennt die KI den xGoals-Wert? Nein. Sie kennt nicht einmal Florian Pick und David Kinsombi, deren Präsenz dem SCP hilft. Fans auf den Rängen sehen das. Journalisten sehen das.
Für die automatisierte Textgenerierung hat Münster zuletzt die „achte Saisonpleite“ kassiert. Für den SCP war es eine unglückliche Niederlage in der Nachspielzeit, nachdem der Aufsteiger zuvor vier Spiele in Folge ungeschlagen war – und in der Rückrunde deutlich stärker auftritt als im Vergleichszeitraum in der Hinrunde. Das weiß die KI nicht, weil sie kein Fußball schaut, sondern nur Zahlen liest.
Ein weiteres Beispiel dazu: Das jüngste HSV-Spiel „wertete“ die KI so: „Mit einem 2:2-Unentschieden musste sich der HSV kürzlich gegen Hannover 96 zufriedengeben.“ Tatsächlich lag der HSV gegen Hannover mit 1:2 zurück, ehe Dompé mit einem „Traumfreistoß“ („Kicker“) nach 84 Minuten den Punkt rettete. Ja, natürlich musste sich der HSV irgendwie „zufriedengeben“, doch der Tenor dieser automatisierten Aussage passt eben auch nicht zum Spielverlauf.
Kaiserslautern-Murks
Weil es so schön-schaurig ist: Dass der SCP zuletzt in Kaiserslautern unglücklich und spät verlor, war für die KI völlig logisch. Schließlich hatte sie erkannt: „Die Ausgangslage sprach für Lautern, was sich mit einem knappen Sieg auch bestätigte.“ Dass sich Kaiserslautern unglaublich schwer tat gegen einen SC Preußen, der zuletzt gerade auswärts kaum zu schlagen war, fehlt als Kontext.
Dass David Kinsombi in einer Phase, in der sich ein Preußentreffer nicht abzeichnete, traf, war dann auch irgendwie logisch: „David Kinsombi ließ sich in der 79. Minute nicht zweimal bitten und verwertete zum 1:1 für den SCP.“ Nein, zweimal lässt sich Kinsombi nicht bitten…
Die „Spielwertung“ der KI fällt dann ebenso simpel aus. „In den 90 Minuten war der FCK im gegnerischen Strafraum erfolgreicher als der SC Preußen Münster und fuhr somit einen 2:1-Sieg ein.“ Aha.
Wenn ein Mensch über Fußball – und dieses Spiel – schreibt, klingt das ganz anders. „Vor über 40.000 Zuschauern tut sich der 1. FC Kaiserslautern gegen Münster lange schwer – und jubelt nach turbulenter Schlussphase“ – so formuliert es ein Mensch bei der Deutschen Presse-Agentur (dpa).
Dieser Text wurde von einem Menschen geschrieben.