Favoritenrolle von außen
Der Präsident des SC Preußen Münster hatte die Messlatte gelegt. Nach Platz 3 und Platz 2 in den beiden Vorjahren könne es ja nun eigentlich nur eine Steigerung geben. Und auch die Trainer der Regionalliga West nannten keinen Klub so oft als Favoriten wie den SCP. Und nun?
Nur noch wenige Stunden, nicht einmal zwei Tage. Dann soll, dann muss die bittere Enttäuschung aus dem Mai verdrängt werden, wenn sie nicht schon verarbeitet wurde. Wie bitter das Last-Minute-Scheitern der Adler war, wird idealerweise gar nicht mehr spürbar werden. Aber wie das so ist im Sport: Münsters Final-Pleite und Münsters Aufstiegs-Aus belegen ja gerade, wie wenig sicher die Dinge im Fußball sind.
Gegen Wattenscheid, dann in Wiedenbrück, wo die Aufstiegshoffnungen erst vor wenigen Wochen zerbrachen, und gegen Bocholt dürfte der Saisonstart zumindest die Richtung aufzeigen. Ein guter bis sehr guter Saisonstart kann helfen, aber er ist natürlich auch nicht Maßstab für die gesamte Saison. Auch das hat der SCP in den vergangenen Jahren oft, wirklich oft gezeigt – in der einen wie der anderen Richtung. Und auch wenn es im Umfeld manchmal schwer fällt: Nicht jeder Rückschlag, nicht jeder schlechte Tag ist maßgeblich für das Ergebnis der Saison. Auch das zeigte der SCP in der vergangenen Saison, als Essen eigentlich auch schon deutlich vorn lag – der SCP holte auf, auch ohne das „Böllerwurf-Spiel“. Es ist das Mantra des Preußentrainers. Es ist erst vorbei, wenn es vorbei ist.
Das Umfeld des SCP hat daher, so legen die spürbar anziehenden Dauerkartenverkäufe nahe, Lust auf einen dritten Anlauf und die damit verbundene Favoritenrolle in der Liga. Das ist auch das Verdienst der letztjährigen Mannschaft, die über die Saison hinweg einen Schulterschluss mit den Fans geschafft hat. Das starke Signal nach dem letzten Saisonspiel, der letzte Gang in die Kurve, war äußerer Beleg für diese Verbindung. Eine Verbindung, die der stärker als erwartet veränderte SCP wieder aufbauen muss. Aber eben nicht von Grund auf, sondern auf einer soliden Basis. Das kann eine Menge wert sein.
Die Trainer der Regionalliga haben in den üblichen Umfragen klare Erwartungen formuliert. Sowohl beim „Reviersport“ wie in der DFB-Umfrage gab es nur einen übergreifenden Favoriten: SC Preußen Münster. Dann allerdings verdichtet sich das Feld buchstäblich. Statt „nur der RWE“ oder eben „nur der SCP“ gehen jetzt gleich eine Handvoll Klubs mit Vorschusslorbeeren ins Rennen. Natürlich der Wuppertaler SV, der namhaft eingekauft hat. RW Oberhausen, Fortuna Köln, der SV Rödinghausen, auch Alemannia Aachen oder – weil es sich so gehört – die eine oder andere Zweitvertretung, bei denen man schlicht nie weiß, wie die Teams in der Liga funktionieren.
Starke Aufsteiger
Und ganz ehrlich: Was ist eigentlich von Klubs wie dem Aufsteiger Kaan-Marienborn zu halten, der nicht nur Münsters Kapitän Julian Schauerte verpflichtete, sondern auch den vor kurzem noch heftig von Münster umworbenen Lukas Scepanik (zuletzt Duisburg, Türkgücü München)? Oder von RW Ahlen, die ebenfalls gut eingekauft haben, u.a. die Ex-Preußen Jannik Borgmann und Cihan Özkara, Robin Brüseke (Verl) oder Pascal Itter (u.a. Paderborn, Chemnitz, Fortuna Köln)? Das sind alles Mannschaften, die schon gute Rollen spielen können – und damit unbequem sein werden.
Und was ist nun wirklich von diesem SCP zu halten? Die Vorbereitung lieferte nicht alle Antworten. Vor allem das Thema Chancenverwertung war in der vergangenen Saison DAS Dauerthema in Münster. Zwar hatte Trainer Sascha Hildmann immer wieder betont, wie wichtig und gut es sei, dass sich die Mannschaft überhaupt erst Chancen erspiele – aber dass am Ende vier Tore fehlten zum Aufstieg, zeigte, dass Chancen eben nicht alles sind. Tore sind alles, gerade wenn es an der Tabellenspitze eng wird. Kann Andrew Wooten hier helfen? Als ausgewiesener Knipser ist er bisher eigentlich nicht dauerhaft aufgefallen, aber in der Vorbereitung traf er. Gerrit Wegkamp ist kein Knipser, Jan Dahlke war es nicht, Alexander Langlitz wird in seiner defensiveren Rolle seine 12 Tore aus der Saison 2020/2021 nicht wiederholen (in der vergangenen Saison gingen „nur“ noch 5 Tore auf seine Kappe). Vorteil des SCP war, dass die Tore auf viele Spieler verteilt waren – und sollte das auch in diesem Jahr gelingen, wäre ja schon einiges getan.
Daher ist das alles natürlich auch eine Diskussion auf hohem Niveau, denn mit 73 Toren in der vergangenen Saison war der SCP ja nun nicht gerade sparsam. Dennoch: Es reichte eben nicht.
Viele Fragen
Vieles ist derzeit noch unklar. Und Antworten wird der SCP erst nach einigen Ligaspielen geben können. Wie sicher steht Münsters veränderte Abwehr-Formation? Wird es dem SCP noch besser gelingen, gegen defensiv kompakte und physisch unbequeme Gegner Lücken und Lösungen zu finden? Aussetzer wie gegen Rödinghausen, Wiedenbrück oder Homberg wird sich der SCP möglicherweise nicht erneut leisten können. Falls der Aufstieg intern das Ziel ist. Und man darf vermuten, dass sich die Mannschaft so ein Ziel gesetzt hat. Das Ziel, es diesmal zu packen. Nach außen wird der SCP wie gewohnt den Ball flach halten. In der „Bild“ ließ sich Sportchef Peter Niemeyer zuletzt nicht in die Falle locken – allein durch Reden sei noch niemand aufgestiegen, ließ er wissen. Der SCP sei nicht die Ausnahmeerscheinung wie zuletzt RW Essen. Tatsächlich haben andere Klubs finanziell tatsächlich noch immer bessere Möglichkeiten.
Also: Von außen wird dem SCP die Favoritenrolle angetragen, das wird die Preußen nicht stören, aber es wird auch nicht Anlass zum Ausflippen sein.