Der MSV Duisburg auf den Spuren der Preußen
Der MSV Duisburg steigt erstmals in seiner Geschichte in die Viertklassigkeit ab. Nach dem 1:1 des SV Waldhof Mannheim ist der Klassenerhalt auch rechnerisch nicht mehr möglich. Ex-Preuße Marco Antwerpen setzte mit seinem Mannheimer Team den Schlusspunkt unter den MSV-Absturz – doch Ähnlichkeiten mit den Adlerträgern gibt es an anderer Stelle.
Die Erfahrung aus Duisburg hat der SC Preußen schließlich selbst gemacht. Im Frühjahr 2006 erwischte es die Adler in gleicher Weise. In den damals 100 Jahren Klubgeschichte spielte der SCP die meiste Zeit über zweit- oder erstklassig. Erst mit der Einführung der eingleisigen 2. Bundesliga rutschten die Preußen 1981 unter den Strich – und mussten anschließend in der (drittklassigen) Oberliga Westfalen antreten. Zwar gelang zwischen 1989 und 1991 noch einmal eine kurze Rückkehr in die 2. Bundesliga, doch eine Kette von Fehlern führte zum schnellen Wiederabstieg. Und seit 33 Jahren wartet der Klub auf die Rückkehr – dabei war die 2. Liga zwischenzeitlich weiter weg als der VfL Osnabrück von einem Heimspiel gegen Schalke …
Über die Oberliga Westfalen und die neue Regionalliga West/Südwest ab 1994 bis zur neuen Regionalliga Nord ab 2000 schlitterten die Preußen so durch die Drittklassigkeit.
Dann und wann bot sich um die Jahrtausendwende die Chance zur Rückkehr – beispielsweise im Frühjahr 2001. Im drittletzten Saisonspiel lagen die Preußen nach einem 2:0 gegen Aue nur zwei Punkte hinter den Aufstiegsplätzen. Im vorletzten Spiel hätte der SCP dank der Ergebnisse der Konkurrenz mit einem Sieg den Konkurrenten SV Babelsberg vom Aufstiegsplatz 2 verdrängen können, doch bei Fortuna Köln kam der SCP nur zu einem 1:1. Und weil das folgende Spiel gegen Babelsberg auch noch verloren ging (2:3), musste der SCP in der 19-er Liga am letzten Spieltag spielfrei zuschauen, wie sich Babelsberg den Aufstieg sicherte.
In den Folgejahren war der SCP nicht mehr aufstiegsreif. 2002 sprang er nach Lizenzentzügen gerade noch vom Abstiegsplatz weg, doch in den drei Spielzeiten danach wurde es nicht besser. Platz 12, Platz 13, Platz 11 – jeweils nach anstrengenden Spielzeiten im Tabellenkeller war dann 2006 Feierabend. Eine Heimniederlage gegen Wuppertal besiegelte den Abstieg vor nur 6.100 Zuschauern zwar noch nicht rechnerisch, doch de facto. Der 3:1-Auswärtssieg bei der U23 von Bayer Leverkusen reichte nicht, am Ende fehlten fünf Tore zum Klassenerhalt.
Es ging hinunter in die Oberliga Westfalen, erstmals Viertklassigkeit. Das hatte sich über Jahre abgezeichnet – und so geht es dem MSV Duisburg nun auch. Schon im Jahr zuvor steckte der MSV im unteren Mittelfeld, 2022 war Abstiegskampf angesagt und am Ende rettete sich Duisburg auf Platz 15. Der gleiche Platz sprang 2021 heraus. Hatte der Fast-Aufstieg 2020 eine ähnlich zerstörerische Wirkung entfacht wie die starke 2001 beim SC Preußen?
Chance im Abstieg
Fakt ist: Der Duisburger Abstieg hat sich über mehrere Jahre angedeutet, jetzt ist er offiziell. Geht es dem MSV jedoch wie den Preußen, dann steckt im Abstieg eine Chance. Münsters Fans blieben dem Klub 2006 treu, auch wenn es am Ende quälende fünf Jahre brauchte, um wieder zurückzukehren. Das allerdings lag nicht ausschließlich am SCP. Nach einem verkorksten ersten Jahr wurden die Preußen 2008 zwar Meister, durften aber wegen der Ligenreform und der Einführung der 3. Liga nicht aufsteigen, sondern qualifizierten sich lediglich für die neue (viertklassige) Regionalliga. Für die Adler dauerte es ab 2008 weitere drei Jahre, ehe der Neuaufbau endlich im ersehnten Aufstieg endete. Der Klub sammelte auf dem Weg neue Kräfte, fand auch eine neue Bindung zu seinen Fans nach schweren Jahren (auch wenn ein schwelender Konflikt zwischen der aktiven Fanszene und der damaligen Klubführung manche Freude überlagerte). Doch der Aufstieg 2011 brachte den SCP zurück auf die Landkarte und sorgte nach vielen Jahren auch in der Stadtgesellschaft für Aufsehen.
Es gibt allerdings einen Unterschied zu Duisburgs Abstieg 2024. Münster stürzte 2006 nicht mit der Vorgeschichte der Duisburger ab. Münster war schon in den Jahren zuvor nur wackelnder Teilnehmer in der Drittklassigkeit. Der MSV kommt aus dem Profifußball. Das Selbstverständnis des MSV, ein natürlicher Bestandteil der Bundesliga zu sein, wenigstens aber der 2. Bundesliga, könnte dem Neustart im Wege stehen. Zur Erinnung: 2007/2008 spielte der MSV noch in der Bundesliga, 2018/2019 noch 2. Bundesliga. Die alte Floskel davon, die neue Realität in der Regionalliga „anzunehmen“, ist aber korrekt. Soweit es Fans und Klubführung betrifft, braucht es schnell echte Akzeptanz. Die Gegner werden vorerst regionale Rivalen wie Oberhausen und Wuppertal sein, aber auch Rödinghausen, Düren und Gütersloh. Und viele Zweitvertretungen der bisherigen Rivalen aus Profizeiten. Schalke II. Düsseldorf II. Mönchengladbach II. Kulturschock ist das Wort.
Stellt es der MSV richtig an, kann Duisburg mit einer Mannschaft, mit der sich die Fans identifizieren können, den Neustart schaffen. Denn allen Widrigkeiten zum Trotz wird Duisburg einfach aufgrund der Größe des Klubs automatisch zu den Favoriten zählen. Aber der MSV wäre eben auch nicht der erste Topfavorit, der an seinen eigenen Ansprüchen und Erwartungen scheitert. Es ist kein Zufall, dass große Klubs wie RW Essen oder Alemannia Aachen jeweils mehr als ein Jahrzehnt (!) in dieser Regionalliga feststeckten. Tradition kann auch belastend sein, weil das eigene Selbstverständnis der neuen Liga angepasst werden muss.
Soweit es den SC Preußen betrifft, so war die Pause in der Regionalliga bis 2011 gut, noch stärker kehrte der SCP aber nach dem Abstieg 2020 zurück. Das zeigt zweierlei: Nichts ist im Fußball sicher. Oder planbar. Aber vieles ist möglich.
Und das ist nun die Lage, in der sich die Preußen heute befinden. Plötzlich und ganz unverhofft klopft der SCP an die Tür zur 2. Bundesliga. Eine Lage, die schlichtweg surreal wirkt. Alle waren nach der Rückkehr in die 3. Liga erst einmal auf den Klassenerhalt eingestellt. Mit dem maroden Stadion, knappen Finanzen und angesichts gewaltiger Konkurrenz aus Dresden und Co. war an mehr gar nicht zu denken. Und der Saisonstart stützte diese Einschätzung zunächst – es war wackelig und ein Auf und Ab.
Was dann geschah, passiert im Fußball manchmal. Die Mannschaft wuchs zusammen, die Ergebnisse kamen. Und dann spielte sich das Team in einen „Flow“. Mit jedem guten Ergebnis wuchs die Überzeugung, das Selbstverständnis. Und der völlig unerwartete Höhenflug elektrisierte auch das Umfeld. Seit Wochen ist jedes Heimspiel fünfstellig besucht, zehn Heimspiele mit jeweils über 11.000 Zuschauern gab es seit Jahrzehnten nicht. Nicht zu Zweitligazeiten, nicht in den bisherigen Aufstiegsspielzeiten, schon gar nicht in den Spielzeiten, in denen der SCP nur zwischenzeitlich oben anklopfte.
Die Resonanz dürfte durch ungläubiges Staunen verstärkt worden sein. Sind das noch die Preußen, die man bisher kannte? Kann das sein, dass diese Mannschaft schafft, woran schon viele andere Preußen-Teams gescheitert sind? Vieles, wenn nicht alles deutet darauf hin.
Es ist ein Märchen, das seltsam real ist. Es war einmal ein Klub, der wollte viel und schaffte wenig. Es ist nun ein Klub, der behutsam aufgebaut wurde und nun in 14 Tagen dafür belohnt werden könnte. Was sind das für Zeiten?
Der SCP in der kommenden Saison höherklassig als Osnabrück und Bielefeld und Essen? Fantastische Aussichten.
abwarten rohrbeckwolfgang32@gmail.com